Gabriel Vetter: «Kellnern in der Kunsthalle - das war meine Basler Rekrutenschule»

Foto: Lucia Hunziker

Man kann sich seine Vettern nicht aussuchen.

DEN ABER SCHON!

Er ist mein Lieblingsvetter. Also: «Wo essen wir?»

«Gundeli. Kennst du die Wanderruh? Ich finde ja schon den Namen heiss und...»

Also wurde die Wanderruh zu unserer Vetternwirtschaft.

Ich bin zu früh. Spate nochmals die Unterlagen durch: Gabriel Vetter - in Beggingen aufgewachsen...

BEGGINGEN?

Er selber nennt es das New York der Ostschweiz.

Ich habe erstmals von Gabriel gehört, als er den grössten Preis für Poetry-Slam in Europa gewann. Das war in Stuttgart. Und Gabriel gerade mal volljährig.

«EIN SCHWEIZER WIRD SLAMMER DES JAHRES!» - titelte meine Zeitung. Ich wusste nicht, was ein Slammer ist. Wurde aber doch langsam auf den kleinen Vetter heiss - denn da und dort konnte man seine Texte lesen. UND DIE WAREN VERDAMMT GUT. Knapp. Rhythmisch. Und jeder Satz ein Aufbau zu einer Pointe, die dann doch nicht kam. Sondern einen Haken schlug. Ähnlich wie beim Basler Schnitzelbangg.

«Wenn ein Witz voraussehbar ist, wenn man die Pointe schon nach den ersten Satzfetzen schmecken kann - dann ist das schlechter Humor...»

Zwei Jahre nach dem Slammer-Erfolg überreichte man ihm den «Salzburger Stier». ABER HALLO. Das ist der Ritterschlag unter deutschsprachigen Kabarettisten.

«Was isst du?»

Ich mache ihn auf das Cordon bleu scharf. Irgendwo habe ich gelesen, dass er auf Cordon bleu abfährt. BINGO! Er beisst an. Und alles mit Ketchup und Fritten.

Meine allerwichtigste Frage: Was ist eigentlich ein Comedian? Ich bin kurz vor dem Abstieg in die Gruft - also unsere Generation hat noch über Walter Roderer als Buchhalter Nötzli gelacht. Wir kommen heute beim Schnellwitz nicht mehr ganz mit - unsere Ganglien sind langsamer als B-Post.

Gabriel kratzt sich im Haar: «Also - das Grossartige an Slam-Poetry wie auch am Comedian ist, dass du alles selber machst: den Text die Inszenierung... und den Auftritt...»

Habs kapiert. Und weshalb ist es heute Comedy?

«Ach - das ist einfach so ein Gesamtüberbegriff, unter dem wir alles verkaufen. Das muss man gar nicht lange hinterfragen...»

Wieder geschnallt: Comedian ist so etwas wie das Bio-Label auf dem Lauch - nur ist es hier die Garantie für guten Humor. Doch was i s t guter Humor? Ich denke, das ist Geschmacksache. Es gibt Menschen, die finden Pointen wie bei Divertimento oder Emil schrecklich und...

Er schüttelt den Kopf: «Mir gehen solche intellektuellen Kultursnobs ziemlich auf den Keks. Ich höre mir zurzeit stundenlang die CDs von Kliby und Caroline an. Leo, mein Sohn, ist siebenjährig. Und da merkt man: Selbst bei ihm funktioniert Kliby. Das heisst: Da muss was dran sein. Ich entdecke in der Bauchrednerpuppe die Qualität im Aufbau, die schliesslich zum Witz führt. Nun gut. Als Comedian musst du auch den Mut haben, k e i n e Pointe zu liefern... du lässt das Publikum vielleicht ratlos im Plüsch zurück. Verärgerst es gar, weil es auf eine Pointe wartet aber das ist dann eben auch das Unabsehbare, das die eigentliche Qualität einer Pointe oder eines Witzes ausmacht...»

(Ich nicke, obwohl ich das nicht ganz verstehe. Und nehme Ketchup zu den Pommes, um meine Unsicherheit zu überspielen.)

Du bist vor sieben Jahren zum ersten Mal Vater geworden. Man sagt, Kinder würden das Leben der Eltern verändern?

«Die Leute, auch die Kritiker behaupten, ich sei in meinen Texten sanfter geworden... milder. Na, das will ich doch sehr hoffen. Vielleicht muss man etwas aufpassen in meinem Metier. Aber es wäre doch furchtbar, wenn die Tatsache, dass man Kinder hat, einen nicht verändern würde. Und natürlich fliesst so etwas in meine Kunst ein. Du findest die Welt nicht mehr nur mies nicht alles nur Armleuchter denn da sind plötzlich zwei kleine Wesen, welche dir neue Farben, neue Perspektiven zeigen...»

Die Mutter deiner Kinder...

«...wir leben seit 16 Jahren zusammen.»

O. k. - sie ist das akademische Vorzeigeschild: gibt Vorlesungen in aller Welt. Hat in Religion und Politik promoviert. Wie seid ihr zusammengekommen?

«In München. Sie kam an eine Vorstellung. Der Abend hat ihr gefallen - sie mir und ich ihr auch.»

Sie ist Schwedin. Ihr habt zusammen in Norwegen gelebt. Und jetzt seid ihr in Basel...?

«Basel war immer meine Lieblingsstadt. Schuld ist meine Mutter. Sie war sehr krank. Musste immer an die Dialyse. Und suchte einen Nierenspender. Zürich nahm sie nicht auf die Liste. Aber Basel. Das hat vermutlich die Affinität für den Flecken hier in mir geweckt. Schon als Achtjähriger bin ich oft mit ihr hierhergefahren. Die Behandlungen dauerten lange - während meine Mutter an der Dialyse lag, jagte ich im Spital herum... ich kenne das Uni-Spital wie meinen Hosensack.»

Du hast in Basel unter Delnon am Theater gearbeitet. Hast für die BaZ geschrieben. Auch studiert...

«...und ich habe 2006 in der Kunsthalle gekellnert. Das war meine Basler Rekrutenschule. Aber auch ein gutes Studium, um Menschen zu beobachten.»

Nun lebst du mit deiner Familie schon eine ganze Weile hier.

«Ja. Es stimmt für alle. Wir wohnen im Gundeli. Basel ist eine wunderbare Stadt - auch meine Partnerin fühlt sich hier wohl. Sie sagt immer: Wenn in der Schweiz und nicht in Schweden, dann bitte in Basel. Vermutlich, weil Basel eben doch anders ist. Nicht unbedingt Schweiz...»

Nun grinst er: «Mein Sohn ist ein richtiger Basler Binggis. Er bringt mir jetzt auch alles über die Bräuche bei. Wie heisst das Ding mit dem wilden Affen...?»

Du meinst den Wilden Mann?

«Ja eben. Der Bub weiss alles. Und er hat nicht lockergelassen, bis ich mit ihm an den Morgestraich ging. Es war der letzte richtige Morgestraich vor Corona. Als die Lichter ausgingen, überkam mich ein unbeschreibliches Gefühl. Leo trommelte auf meinen Rücken ein - und mich so in die Wirklichkeit zurück... er will unbedingt Tambour werden.»

Nun schwärmt mein Lieblings-Vetter:

«Irgendwie möchte ich da auch einmal mitmischen. Als Schnitzelbänggler. Ein Basler Freund, mit dem ich das Büro und eine Ostschweizer Jugend teile, wäre auch dabei... nun ja. Lassen wir das alles an uns herankommen. Ich bin kein grosser Planer...»

Nein. Bist du nicht. Auch nicht ehrgeizig - leider! Sonst hättest du schon lang deine eigene Abendsendung im Fernsehen. Und müsstest nicht für andere die guten Texte schreiben.

Jetzt lacht er: «Ich sage eben gerne nein! Das ist in unserem Beruf wohl selten - aber nein ist the sexiest word in Showbusiness. Früher wollten die Leute in den Himmel - heute wollen sie ins Fernsehen. Ich war zum Glück nie allzu gläubig. Vielleicht werde ich ganz andere Wege gehen: als Schauspieler... als Bücherschreiber... mich interessieren einfach zu viele Dinge... mein Urgrossonkel war ein berühmter Löwendompteur. Das wäre doch etwas!»

Seine Twitter-Einträge schenken uns während der Covid-Zeit fast täglich ein Lachen. Immer wieder. Wie damals, als er zu Beginn der Pandemie an coop.ch twitterte:

«Isch mer etz e bitz peino, aber ich hab vorher im Coop Südpark Basel vergessen, mein Nümmerli abzugeben. Einfach damit ihr am Abend nicht meint, ich sei noch drin, und nen Suchtrupp losschickt. Ich bin wohlauf und daheim...»

Lieber Vetter - in dieser tristen Zeit brauchen wir dich! Also reiss dich am Riemen!

Vorlieben und Abneigungen

Er mag: Mit Menschen ins Gespräch kommen. Seich reden. Gedichte. Mit seinem Sohn ins Joggeli gehen. Mit der Tochter rumtanzen. Käse. Graffiti. Die Roche-Türme. Und Fiat Pandas.
Er mag nicht: Nebel. Leute mit Geld, die nicht wissen, wie schwierig es ist, kein Geld zu haben. Kein Geld haben. Kutteln

Foto: Lucia Hunziker

Samstag, 22. Januar 2022